Frank McCourt: Tag und Nacht und auch im Sommer

Frank McCourt, ein bis dahin unbekannter pensionierter Englisch-Lehrer aus New York, wurde im Jahre 1996 durch seinen Roman "Die Asche meiner Mutter" weltberühmt. Er schilderte darin seine unglücklich-irisch-katholische Kindheit, gekennzeichnet vor allem durch einen trinkenden, patriotische Lieder singenden Vater, der die Familie ins Unglück stürzte. Das Buch endete damals mit der Emigration nach New York. In seinem zweiten Buch "Ein rundherum tolles Land" schilderte McCourt seine ersten Jahre in New York, seinen schwierigen Bildungsgang, der schließlich in einer Lehrertätigkeit mündete.
Diese Tätigkeit ist nun Thema seines dritten Buches, das im Deutschen den Titel "Tag und Nacht und auch im Sommer" trägt, Pflichtlektüre für alle Menschen, die pädagogisch tätig waren, sind oder sein werden.
Was soll man von den pädagogischen Erinnerungen eines irischen "Mick" erwarten, der diese schon legendäre unglücklich usw. Kindheit mit sich herumschleppt, die auch in seinem dritten Buch des öfteren zitiert wird? Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Schulsystem, ein pädagogisches vademecum oder ein weinerliches Lament auf die Borniertheit der amerikanischen Jugend? Bei McCourt natürlich nichts von alledem, sondern ein vergnügliches, selbstironisches, gleichwohl nachdenklich machendes Buch über die Nöte des Lehrers, aber auch seiner Schülerinnen und Schüler.
Und so geht es los: Statt sich über seine Kindheit zu beklagen, vergibt er all den "dunklen Mächten", die für sie verantwortlich sind: Papst Pius XII., den Engländern, vor allem König George VI., dem Kardinal MacRory, dem Bischof von Limerick, Eamon de Valera, dem irischen Minister- und Staatspräsidenten, den diversen Priestern und Schulmeistern, die durch ihre "himmelschreiende Heuchelei" Schuld an seiner fehlgeleiteten Entwicklung auf sich geladen haben.
Kann so einer wie McCourt ein guter Lehrer werden, ja, was ist das überhaupt, ein guter Lehrer? Am Ende des Buches ahnen wir es: es ist jemand, der sich nicht immer sklavisch an die vorgegebenen Lehrpläne hält, sondern der versucht, mit durchaus ungewöhnlichen Methoden, die Fähigkeiten seiner Schülerinnen und Schüler zu aktivieren und dabei immer den Respekt vor den Menschen, die vor ihm sitzen nicht verliert (so gut es eben geht).
Das klingt theoretisch gut, ist aber in der Praxis schwer zu machen.
So auch bei McCourt. Seine erste Lehrerstelle bekommt er an der "McKee Vocational und Technical High School im Stadtteil Staten Island der Weltstadt New York" im März 1958.
Als Lehrer fühlt er sich nur in zweiter Linie. Vielmehr ist er "Feldwebel, Rabbi, Schulter zum Ausweinen, Zuchtmeister, Sänger, Stubengelehrter, Büroangestellter, Clown, Berater, Beauftragter für die Kleiderordnung, Schaffner, Fürsprecher, Philosoph, Kollaborateur, Stepptänzer, Politiker, Therapeut, Narr, Verkehrspolizist, Priester, Mutter-Vater-Bruder-Schwester-Onkel-Tante, Buchhalter, Kritiker, Psychologe, Rettungsanker" (S. 29). Damit ist das Tätigkeitsprofil einer Lehrperson vielleicht noch nicht ganz vollständig, aber doch recht gut beschrieben.
Überhaupt: McCourt erzählt gerne Geschichten, nicht nur die seiner unglücklichen usw. Kindheit in Irland, sondern auch andere, deren Bedeutung die Schülerinnen und Schüler oft erst im zweiten Anlauf kapieren. Er singt auch gerne im Unterricht, was verständlicherweise oft zu unangenehmen Zusammenstößen und Rechtfertigungsszenarien mit Schulleitern und Schulräten führt. Manchmal allerdings, wenn sich der pädagogische Wind gerade einmal wieder gedreht hat, wird er für solche Aktivitäten sogar gelobt, doch das ist eher die Ausnahme.
Nach acht Jahren wechselt McCourt 1966 die Schule. Er geht an das New York Community College in Brooklyn, wo er Erwachsene unterrichtet, die ein College-Diplom anstreben. Ohne Promotion will ihn die Schule aber nach einem Jahr nicht weiter beschäftigen. Nach einer weiteren kurzen Station an der Seward Park High School geht er, 38-jährig, nach Irland zurück, nach Dublin ans Trinity-College, um dort eine Doktorarbeit zu schreiben. Zwei Jahre hat er dafür Zeit. Seine Frau Alberta bleibt in New York. Sein Thema lautet "Irisch-amerikanische literarische Beziehungen, 1889–1911". Doch trotz seiner Studien in der Bibliothek zwischen den Besuchen von Bewleys Café und den Pubs der Umgebung kommt er nicht vorwärts. Er sammelt Notizen auf Karteikarten, aber die beschäftigen sich mehr mit der Geschichte der Iren in Amerika als mit seinem eigentlichen Thema.
Im Januar 1971 kehrt er nach Amerika zurück, seine Frau ist schwanger, die Promotion unvollendet. Dann wendet sich sein Schicksal, er wird Lehrer an der Stuyvesant High School, der vermeintlich besten High School New Yorks. Dort bleibt er bis zu seiner Pensionierung. Er unterrichtet die Fächer Englisch und Kreatives Schreiben. Seine Ehe zerbricht, als seine Tochter Maggie acht Jahre alt ist. McCourt zieht nach Brooklyn und wohnt dort über einer lauten Hafenkneipe.
Seinen eigenen Stil als Lehrer kann er vor allem in seinen Schreibkursen ausbilden, wo er machen kann, was er will, ohne durch allzu konkrete Vorgaben durch Lehrpläne eingeschränkt zu werden.
Im Englischunterricht allerdings könne man sich, so meint er, die Aufmerksamkeit amerikanischer Teenager nur mit zwei Themen sichern: Sex und Essen. Das erste Thema ist wegen der Eltern nicht unproblematisch, deshalb versucht er es mit dem zweiten. Alle Schülerinnen und Schüler müssen zum Unterricht ein Kochbuch mitbringen. Jeder schlägt sein Lieblingsrezept auf und liest es vor. Eine Schülerin meint, die Rezepte sähen aus wie lyrische Texte und klängen wie pure Musik. Das bringt einen Schüler dazu, das Vorlesen der Rezepte mit Melodien auf seiner Flöte zu begleiten. Zu schwedischen Hackbällchen erklingt dann, vielleicht nicht ganz passend "Hava nagila". Dagegen passt "The Irish Washer-Woman" zum irischen Natronbrot ganz gut. Am nächsten Tag besteht das Orchester aus vier Gitarren, einer Oboe, einer Flöte, zwei Mundharmonikas und mehrere Bongo-Trommeln. Die Manöverkritik nach den Vorträgen ergibt, dass Bongos nicht zum englischen Trifle passen, die Mundharmonika zum Schweinekotelett aber genial ist.
Am Ende seiner Lehrerlaufbahn zieht McCourt Bilanz: Er hat in dreißig Jahren an fünf verschiedenen High Schools und einem College unterrichtet, ca. 35.000 Unterichtsstunden gehalten, ungefähr 12.000 Schülerinnen und Schüler, Männer und Frauen gesehen und deren Aufsätze korrigiert. Auf die selbstgestellte Gretchen-Frage, was denn Lernen überhaupt sei, hat er am Ende für sich und seine Schülerinnen und Schüler eine verblüffende Antwort. Er stellt eine Gleichung auf, links steht das Wort "Furcht", rechts das Wort "Freiheit". Er zeichnet einen Pfeil von links nach rechts und bilanziert: "Ich glaube nicht, dass irgend jemand vollkommene Freiheit erlangt, aber was ich mit euch zusammen versuche, ist, die Furcht in die Ecke zu treiben" (S. 326).

Frank McCourt: Tag und Nacht und auch im Sommer. Erinnerungen. Aus dem Englischen von Rudolf Hermstein. München: Luchterhand Literaturverlag 2006. 332 Seiten. € 19,95