Irisches Lesebuch

Seit Frank McCourts Roman "Die Asche meiner Mutter" blickt die literarische Öffentlichkeit mit Staunen auf die irische Literatur. Dabei lebt der Autor gar nicht in Irland, sondern in New York. Das ist allerdings nicht ungewöhnlich für irische Verhältnisse, denn auch andere große irische Autoren, wie Oscar Wilde, James Joyce oder Samuel Beckett, kehrten ihrer Heimat früh den Rücken.
Das gilt für die heutige Generation irischer Autoren nicht mehr, wie der Sammelband "Irisches Lesebuch" zeigt, den der Übersetzer und Journalist Bernhard Robben im Piper-Verlag herausgegeben hat.
Die Stärke dieses Bandes sind die Geschichten des zweiten Teils, die unter dem Motto stehen "Es war ein Aufwachen ...". Der Herausgeber beschreibt im Vorwort, wie es Ende der siebziger Jahre zu einer Belebung der irischen Literaturszene kam, die alle in Erstaunen versetzte. Einige Beispiele dieser Entwicklung sind in dem Band von Bernhard Robben versammelt: Autoren der Jahrgänge 1950 bis 1965, die ein ungeschminktes Bild der aktuellen irischen und nordirischen Gesellschaft zeichnen. Dabei geht es um AIDS und Homosexualität, um ungewollte Schwangerschaften, um Kinderprostitution und Kriminalität in den verschiedensten Formen.
Natürlich spielt auch die politische Situation in Nordirland eine herausragende Rolle. Besonders beeindruckend ist hierbei der Auszug aus dem Roman "Eureka Street, Belfast" von Robert McLiam Wilson, der eine Bombenexplosion in einem Sandwich-Laden in Belfast mit einer solchen Eindringlichkeit beschreibt, dass man glaubt, dabei gewesen zu sein.
Robben weist uns mit diesem Band auf eine pulsierende Literaturszene hin, deren Themen schon lange nicht mehr auf die Probleme des westirischen Bauern und seiner einzigen Kuh beschränkt sind. Irland ist auch literarisch längst in der Moderne mit allen positiven und negativen Folgeerscheinungen angekommen.
Als Leser hätte man sich lediglich gewünscht, dass einige Anspielungen in den Texten, die sich selbst dem Irland-Kenner nicht sofort erschließen, erläutert worden wären.

Irisches Lesebuch. Herausgegeben von Bernhard Robben. München, Zürich:. Piper Verlag 2001, € 9,90